#FuckMigraines: Ad-Hoc-Forschung im Web am Beispiel von Migräne-Patient*innen

Autorin: Lena Gebel

Einleitung

Mit diesem Blogpost wollen wir einen Einblick in unsere Arbeit als qualitative Social-Media-Forscher geben. Wir nutzen Methoden wie Netnography, Netzwerkanalysen oder KI-basierte Verfahren zur Auswertung von großen Datensätzen für unterschiedliche Branchen und Fragestellungen. Letztendlich geht es immer darum, Consumer- oder Patient-Insights zu erhalten und die Fragen unserer Auftraggeber zu beantworten. Da viele Unternehmen mit Social Media Ad-Hoc-Forschung weniger Erfahrung haben, wollen wir anhand des Themas Migräne erläutern, wie wir bei Q vorgehen und welche Themen mit digitalen Methoden behandelt werden können.

Zum Einstieg: Was ist Migräne?

Migräne ist eine bestimmte Form des Kopfschmerzes und zeichnet sich durch eher plötzliches Auftreten mit pulsierendem, stechendem oder pochendem Schmerz aus. In Deutschland leiden laut der deutschen Migräne und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DKMG) etwa 10-15% der Bevölkerung an Migräne. Es gehört somit zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen.

Frauen sind dabei bis zu dreimal häufiger betroffen als Männer. Die Beschwerden manifestieren sich zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr, sind aber zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr am deutlichsten ausgeprägt.

Dies ist insofern relevant, da sich bereits anhand des Krankheitsbildes eine digital affine Patientengruppe finden lässt. Eine typische Fragestellung mit der wir immer wieder zu Beginn eines Projektes konfrontiert werden, denn die Machbarkeit einer Studie hängt immer von der Verfügbarkeit von Quellen und im Web aktiven Zielgruppen oder Stakeholdern ab.

Zielgruppenanalyse und Patient Journey im Web: Welche Patiententypen lassen sich anhand der Social Web Analyse identifizieren?

Zum einen lassen sich, „Die Unbedarften“ finden, deren Migräne nur gelegentlich auftritt und die im Netz auf der Suche nach einer Diagnose sind. Die meisten klagen über eine bestimmte Art des Kopfschmerzes und suchen Rat, bei anderen Betroffenen, ob es sich um Migräne handeln könnte. Diese Patientengruppe interessiert sich besonders für Hausmittel, Tipps und die Erfahrungen anderer.

Die zweite Patientengruppe, „Die Ausprobierer“ hat bereits eine feststehende Diagnose erhalten oder sich selbst diagnostiziert. Ihr Krankheitsverlauf ist nicht stark genug, um einer intensiven Medikation nachzugehen. Daher wird sich vermehrt über Auslöser und Vermeidungsstrategien beraten und welche „leichteren“ Medikamente im Falle eines Falles genommen werden können. Außerdem interessiert, was sich ohne Bedenken ausprobieren lässt bspw. Homöopathie oder Hausmittel. Die Aktivität ist geringer, da sich diese Patientengruppe vermutlich mit den Beschwerden abgefunden hat. Der Verlauf bringt wahrscheinlich keine so große Belastung mit sich, dass sich darüber ausgetauscht werden muss. Ganz nach dem Motto „mit dem bisschen Kopfschmerz komme ich alleine zurecht“.

Die letzte Patientengruppe „Die Experten“ ist gleichzeitig auch die aktivste im Netz. Es handelt sich um Patienten, die einen schweren Verlauf aufweisen und regelmäßige Medikation benötigen. Diesen Patienten ist der Austausch mit anderen Leidensgenossen sehr wichtig. Es werden Themen besprochen wie, der Verlauf der Krankheit, Auslöser und Vermeidungsstrategien, Ärzteodysee bis zur Diagnose und einem funktionierendem Behandlungsansatz, Erfahrungsaustausch über Medikationen, persönliche Erlebnisse und Coping-Strategien. Für diese Patienten ist das Web eine wichtige Möglichkeit, um mit anderen ins Gespräch zu kommen. Häufig wird der offline Kontakt zu Menschen vermieden, um sich keinen Auslösern für eine Migräneattacke auszusetzen oder die Krankheit lässt einen an sozialen Interaktionen nicht teilnehmen. Die Unterstützung anderer, das Verständnis und der Austausch sind dabei besonders wichtig für diese Patienten, um sozial nicht völlig isoliert zu sein.

Was die sozialen Netzwerke uns über Migräne Patienten verraten können

Der Erfahrungsaustausch ist ein zentrales Motiv der Migränepatienten („Die Experten“), um im Web aktiv zu sein. Aufgrund der Unberechenbarkeit der Krankheit sind diese Patienten dankbar für jede persönliche Geschichte und jedes Erlebnis, dass ihnen hilft ihre eigene Situation zu verstehen und damit besser umzugehen. Besprochene Themen sind häufig: Ratschläge und Verhaltenstipps für Situationen bekommen, sich gegenseitig Halt geben, Austausch über mögliche Therapien und weitere Behandlungsansätze, Coping-Strategien bei Verschlechterung des Krankheitsbildes, Tipps um den Alltag zu bewerkstelligen.

Der Umgang untereinander ist deutlich geprägt von einem verständnisvollen Miteinander und Kommunikation auf Augenhöhe. Auch wenn sich viele Patienten ein Expertenwissen angeeignet haben und selbstverständlich mit Begriffen, Medikamentennamen und Medikationen umgehen, werden neue „Mitglieder“ im Kreis akzeptiert und aufgenommen.

Chancen und Herausforderungen der Netnographie

Bei Q werden wir oft mit der Frage konfrontiert, welche Methode denn nun „besser“ sei. Da wir neben der Social Media Forschung auch Erfahrungen mit „klassischen“ qualitativen Methoden haben, sind wir der Meinung, dass sich die Ansätze nicht ausschließen, sondern eher ergänzen. Jedes Forschungsdesign hat seine Stärken und Schwächen und für uns als Marktforscher steht fest: wir müssen gemeinsam mit unseren Kunden den besten Ansatz für die jeweilige Fragestellung finden.

Die Vorteile der Social Media Forschung sind zum einen, der so gut wie unbeeinflusste Zugang zu Meinungen und Einstellungen, den man als stiller Beobachter hat. Es lassen sich Handlungspfade erkennen und Needs ableiten, die die wirkliche Realität der Patienten abbilden.

Ein weiterer Vorteil ist, dass sich Patienten nicht mit einem Gegenstand beschäftigen, der sie eigentlich nicht interessiert, sondern dass wir davon ausgehen können, dass Themen über die geredet wird, auch eine Relevanz für Patienten haben oder sogar hochemotional sind.

Außerdem bietet die Analyse über Social-Media-Kanäle Zugang zu besonders eingeschränkten Patienten, die aufgrund der Erkrankung wenig mobil sind bzw. zu Patientengruppen die eher klein sind und sich schlecht für offline Befragungen finden lassen. Sind solche Patientengruppen aktiv in der digitalen Welt und finden sich im Social Web zusammen, lassen sich viele, wertvolle Insights ableiten.

Einen klaren Nachteil dieses Ansatzes gibt es auch: die relevante Patientengruppe muss aus eigener Motivation aktiv im Web sein, denn Fragen lassen sich nicht stellen. Ein Thema über das nicht gepostet wird, findet forscherisch nicht statt. So lässt sich beispielsweise ein klassischer Konzepttest nicht mit einer Netnographie umsetzen. Dies lässt sich im Vorfeld durch einen Machbarkeitstest prüfen, bei dem die möglichen Quellen und das Aktivitätsniveau geprüft werden.

Unter Beachtung dieser Aspekte können wir aufgrund unserer Erfahrungen sagen, dass die Social Media Forschung Insights zu folgenden Themenfeldern liefert:

·         Patient Journey

·         Behandlungs- und Vermeidungsstrategien

·         Rolle und Einfluss von HCPs

·         Zielgruppenanalyse:

o   Charakteristika von Patienten

o   Patiententypen und deren Needs

o   Therapieoptimierung aus Sicht der Patienten

o   Umgang mit der Krankheit

o   Gestaltung des eigenen Alltags und Ableitung für Content

·         Dichte und Aktivität der Patientennetzwerke

·         Die Rolle von Pharmaunternehmen

·         Images von Medikamenten und Wirkstoffen

·         Stakeholderanalysen

Und zu guter Letzt: Auch das Thema Pharmakovigilanz ist im Web in den Griff zu bekommen, wenn die Prozesse gut organisiert sind.

 

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